3. Juni 2024
„Kirche ist immer politisch“
Geseker Marktkirchen-Team im Interview.
Bei einem Kaffee mit den Menschen ins Gespräch kommen – das ist die Idee der ökumenischen Marktkirche, die einmal im Monat auf dem Geseker Marktplatz ihren Stand aufbaut. Vor rund einem Jahr ist sie an den Start gegangen (wir berichteten). Mit dem aktuellen Motto „Marktkirche ist bunt“ setzt das Team auch ein klares politisches Statement. Im Interview ziehen Ute Paschedag, Gemeindereferentin im Pastoralen Raum Geseke-Erwitte, Adelheid Büker-Oel aus dem Organisationsteam sowie (schriftlich) Pfarrerin Kristina Ziemssen eine Zwischenbilanz und erklären, wieso die Kirchen sich so deutlich politisch positionieren.
Seit fast einem Jahr gibt es nun die Marktkirche. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Ziemssen: Auf jeden Fall ist es eine sehr niederschwellige Begegnung mit Menschen, die am Samstagmorgen auf den Markt kommen. Gerne holen sie sich eine Tasse Kaffee ab, knabbern dazu einen Keks oder anderes Gebäck. So kommen wir mit ihnen ins Gespräch. Mal über Alltägliches, mal über das Thema, das sie mitbringen.
Büker-Oel: Es bleiben eigentlich immer Leute stehen. Bei der Sternsinger-Aktion haben sich zum Beispiel ganz viele den Segen abgeholt. Der Besuch ist natürlich auch davon abhängig, dass der Markt in Geseke nicht so voll ist. Aber wir sind auf jeden Fall zufrieden mit dem, wie es bisher gelaufen ist.
Paschedag: Wir haben auch ein festes Klientel, was regelmäßig kommt. Die sind eigentlich keine Kirchgänger*innen, freuen sich aber immer, wenn wir da sind und trinken mit uns einen Kaffee.
Das ist ja auch eins der Ziele, die sie sich gesetzt haben – mit „Nicht-Kirchgängern“ ins Gespräch kommen …
Paschedag: Genau. Es kommen auch gezielt Menschen, die von uns in der Zeitung gelesen haben, zum Beispiel bei der Aktion, wo wir Weihnachtskarten verteilt haben.
Büker-Oel: Weil Sie das noch mal so dezidiert gesagt haben, dass wir uns auch an Nicht-Kirchgänger wenden: Es ist definitiv kein Missionierungsangebot. Das ist uns wichtig, zu betonen. Es geht nicht darum, Menschen wieder in die Kirche zu holen. Wenn das ein Nebeneffekt ist, dass sich Menschen wieder mit Glauben auseinandersetzen, ist das aber trotzdem schön.
Sie setzen bei der Marktkirche auch politische Zeichen. Es dürfte kein Zufall sein, dass Sie für Samstag das Motto „Marktkirche ist bunt“ gewählt haben – „Geseke ist bunt“ war auch das Motto der Demo für Demokratie und gegen Rechtsextremismus.
Büker-Oel: Man kann das natürlich auch ganz praktisch jahreszeitlich sehen und auf den Frühling beziehen. Das gehört auch dazu. Die Buntheit ist aber natürlich eine deutliche Positionierung. Es ist ja bewusst von Anfang an so gewesen, dass wir uns nicht nur für Kirchgänger*innen entschieden haben, sondern da sind für alle Menschen – unabhängig von Nationalität, Geschlecht, sexueller und religiöser Orientierung. Das ist uns ein großes Anliegen. Zumal wir ja auch mit ehemals Geflüchteten zusammenarbeiten.
Für die katholische Kirche bedeutsam ist auch, dass der neue Erzbischof die neue Grundordnung unterschrieben hat, die den kirchlichen Angestellten nicht mehr die Lebensform vorschreibt, sondern davon unabhängig Menschen in den Dienst lässt. Das ist zumindest für die katholische Kirche ein Quantensprung. Das zeigt eine Vielfalt, für die wir auch gerne stehen.
Wie politisch dürfen – oder sogar müssen – Kirchen sein?
Ziemssen: Das ist für mich ganz klar: Kirche lebt in der Welt und für die Welt, manchmal mit, manchmal gegen die Welt. Das ist auf jeden Fall immer politisch: Indem wir Menschen in ihrem Engagement und Handeln ermutigen oder auch den Finger in die Wunde legen, wo wir es vom Evangelium her für geboten halten. Es gilt, mit den Menschen über die aktuellen Themen im Gespräch zu bleiben und sich von der biblischen Botschaft her Orientierung geben zu lassen.
Paschedag: Ich mache eine Unterscheidung zur Alltagspolitik, aus der sich meiner Meinung nach Kirchen rauszuhalten haben. Wenn es aber existenziell wird, durch Parteien die Gesellschaft gespalten sowie demokratische Werte und Freiheit in Frage gestellt werden, Hass und Intoleranz gefördert wird, dann ist es die Verpflichtung von Christ*innen den Mund aufzumachen. Es ist für mich vollkommen richtig, dass meine Kirche durch die Deutsche Bischofskonferenz ein Statement abgegeben hat, dass das christliche Menschenbild mit den Aussagen der AfD unvereinbar ist. Im wahrsten Sinne des Wortes geht es derzeit darum, Farbe zu bekennen. Das ist kein Einmischen in Parteiprogramme, vielmehr geht es darum, sich zu Positionieren. Und zwar eindeutig und ohne jeden Zweifel auf die Seite der Menschen und deren Würde, egal woher sie kommen, welche Hautfarbe sie haben, welcher Religion oder Weltanschauung sie angehören, wem sie lieben und welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen.
Büker-Oel: Politik ist ja nicht nur Parteipolitik. Alles, was wir tun und wie Kirche sich darstellt, ist politisch. Sich einzusetzen für Menschen ist für mich eine politische Handlung. Es gibt ja den Spruch „mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen“ – ich finde doch, das kann man.
Sie haben es gerade gesagt: Die Kirchen haben sich klar gegen die AfD positioniert. Ist das auch ein Thema, das die Leute hier vor Ort bewegt?
Büker-Oel: In der Hinsicht ist es natürlich wiederum doch parteipolitisch. Aber vielleicht in dem Maße, dass wir uns nicht zu einer Partei gesellen, sondern es Tendenzen gibt, die wir definitiv ablehnen. Deswegen auch das Motto „Die Marktkirche ist bunt“ – es gibt mindestens eine Partei, die ist aus meiner Sicht überhaupt nicht bunt. Wenn man bestimmten Menschen die Würde abspricht, ist das gegen unser Grundgesetz, das auf christlichen Werten basiert.
Ziemssen: Wir sehen uns eins mit der Aktion, die aus dem Rat der Stadt entstanden ist. Unsere Aktion „Welcome“ setzt das fort. Und natürlich ist klar, Position gegen die Verlautbarungen der AfD – Ausgrenzung, Remigration, Ausländerfeindlichkeit – zu beziehen. Dem Gespräch mit AfD-Anhängern würde ich nicht ausweichen: Ich würde sie gerne fragen, wo ihre persönliche Schmerzgrenze liegt.
Paschedag: Das Treffen der AfD mit Rassisten zur Remigration war auch großes Thema in unserer Whatsapp-Gruppe. Das ist etwas, das alle bewegt. In den Gesprächen merke ich auch, dass noch nie soviel Angst in der Bevölkerung zu spüren war – auch vor Krieg und der Kriegsrhetorik. Und natürlich auch davor, was ist, wenn die AfD ihre Pläne wirklich umsetzen kann.
Wie geht‘s mit der Marktkirche weiter?
Paschedag: Nach „Marktkirche ist bunt“ wird es im Mai einen Elterntag geben. Zu einem anderen Tag kommt eventuell kommt auch der Malteser-Besuchsdienst dazu. Fest steht schon, dass das Netzwerk Alter und Pflege am 29. Juni dabei sein.
Quelle: Geseker Zeitung, 4.4.2024, von Daniel Kossack